Nutzungsausfall für 15 Monate

Urteil des LG Hamburg vom 30.03.2012

Was bisher geschah:

Dem Kläger wird die Vorfahrt genommen, sein Auto wird schwer beschädigt. Ein erster Gutachter stellt die Reparaturkosten auf knapp 6.000,00 EUR fest, das ist etwas mehr als der Wert des Autos, es liegt also ein „wirtschaftlicher Totalschaden“ vor. Der Kläger verkauft das Auto in Erwartung, dass er demnächst Geld von der Versicherung bekommt und er sich dann ein anderes Auto kaufen kann. Die Versicherung zahlt aber nicht und muss verklagt werden. Der Gerichtsgutachter schätzt die Reparaturkosten auf 4.000,- EUR.

Obwohl der Versicherung mitgeteilt wurde, dass der Kläger nur sehr geringe Einkünfte hat und deswegen auch keinen Kredit aufnehmen kann, zahlt sie weder eine Abschlagszahlung noch einen Vorschuss.

Nach fünfzehn Monaten wird die Versicherung zur Zahlung von 4.000,- EUR verurteilt und bezahlt dann endlich. Der Kläger kauft sich mit dem Geld ein anderes Auto.

Er verlangt jetzt Nutzungsausfallersatz für die fünfzehn Monate, die er kein Auto hatte.

Was das Gericht dazu sagt:

Die Versicherung muss Nutzungsausfallersatz für die gesamte Zeit bezahlen. Daran ändert nichts, dass der Nutzungsausfallersatz höher ist als der Wert des Autos.

Das Gericht stellt zunächst fest, dass der Verkauf des Autos vernünftig war, weil der Gutachter einen wirtschaftlichen Totalschaden festgestellt hat. Dass ein anderer Gutachter zu einem anderen Ergebnis kommt, ändert daran nichts: Ein Autobesitzer darf einem anerkannten Gutachter vertrauen und sein Handeln darauf ausrichten.

Der Nutzungsausfallersatz wird auch nicht etwa deswegen gesenkt, weil der Kläger an dem hohem Betrag eine Mithaftung tragen würde. Der hohe Betrag ist nämlich allein durch die Versicherung verschuldet. Die Versicherung kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass der Kläger einen Kredit hätte aufnehmen müssen, um sich ein Ersatzfahrzeug zu kaufen. Die Versicherung wurde nämlich vom Anwalt des Geschädigten darüber informiert, dass der Kläger nur geringe Einkünfte hat und davon eine Familie ernähren musste. In solchen Fällen muss kein Kredit aufgenommen werden und die Versicherung wusste das.

Der Kläger hatte auch den Willen, ein Auto zu benutzen. Dass er sich diesen Wunsch nicht erfüllen konnte, weil das Geld gefehlt hat, ist nach Ansicht des Gerichts allein die Schuld der Versicherung.

Damit muss die Versicherung den vollen Nutzungsausfallersatz für die Zeit des Prozesses bezahlen.

Was das für die Praxis bedeutet:

Wenn Versicherungen die Zahlungen unangemessen verzögern, droht das Risiko auch exorbitanter Forderungen wegen Nutzungsausfallersatz. Allermindestens sollten die Versicherungen den Betrag bezahlen, den sie für angemessen halten.

Geschädigte, die keine Möglichkeit haben, zu anständigen Bedingungen einen Kredit aufzunehmen, müssen dies der Versicherung sofort mitteilen. Die Versicherung muss sich dann beeilen und überlegen, ob sie einen Vorschuss oder eine vorläufige Kostenübernahme leistet.

Das Urteil hat sich zwar nur mit Nutzungsausfallersatz bei einem vermeintlichen wirtschaftlichen Totalschaden befasst. Diese Grundsätze gelten aber auch für den Fall, dass ein Geschädigter auch die Reparatur nicht finanzieren kann.

Schließlich ist auch nochmals bestätigt, dass Geschädigte normalerweise auf ihren Gutachter vertrauen können.

Quelle: Neue Juristische Wochenschrift 2012, S. 3199

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