Unterhalt für Eltern beschränkt

Bundesverfassungsgericht Urteil vom 7. Juni 2005 – 1 BvR 1508/96 –
Unterhalt für pflegebedürftige Mutter: Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Quelle: Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts.

Die Verfassungsbeschwerde (Vb) der Beschwerdeführerin (Bf), die aus übergegangenem Recht vom Sozialhilfeträger zur Zahlung von Unterhalt für ihre pflegebedürftige Mutter herangezogen worden ist, war erfolgreich. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hob das Urteil des Landgerichts (LG) Duisburg auf, da es die Bf in ihrer von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten finanziellen Dispositionsfreiheit verletzt. Die Sache wurde an das LG zurückverwiesen. Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung vom 28. Januar 2005 verwiesen. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die der der Beschwerdeführerin (Bf) vom Landgericht auferlegte Verpflichtung zur Annahme eines zinslosen Darlehens und zur Bewilligung einer Grundschuld auf ihren Miteigentumsanteil entbehrt jeder Rechtsgrundlage und steht in krassem Widerspruch zu allen zur Anwendung gebrachten Normen.
1. Die Leistungsfähigkeit der Bf ist erst nach dem Tod ihrer Mutter entstanden. Damit hat das Gericht einen Unterhaltsanspruch für einen vergangenen Zeitraum mit einer Leistungsfähigkeit der Bf begründet, die erst nach dem Wegfall der Bedürftigkeit der Mutter eingetreten ist. Dies widerspricht schon in Wortlaut und Systematik den hier maßgeblichen unterhalts- und sozialhilferechtlichen Regelungen. Ein Unterhaltsanspruch nach § 1601 BGB besteht nur dann, wenn Bedürftigkeit beim Unterhaltsberechtigten und Leistungsfähigkeit beim Unterhaltspflichtigen zeitgleich vorliegen. Auch §§ 90, 91 BSHG, die die Überleitung von Unterhaltsansprüchen ermöglichen, regeln nichts anderes.
2. Es widerspricht den Grundsätzen des Sozialhilferechts, mit Hilfe eines gewährten Darlehens einen zivilrechtlich nicht gegebenen Unterhaltsanspruch sozialhilferechtlich begründen zu wollen. Diese rechtliche Konstruktion würde letztlich Sozialhilfeansprüche gänzlich zum Wegfall bringen. Dies hätte zur Folge, dass ein Bedürftiger zwar selbst mit der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegenüber einem nicht leistungsfähigen Unterhaltspflichtigen scheitern würde, der Sozialhilfeträger jedoch mit einem entsprechenden Darlehensangebot den Unterhaltsanspruch begründen und sich damit von seiner Verpflichtung zur Sozialhilfegewährung befreien könnte. Es liefe außerdem dem Sozialstaatsgebot zuwider, das fordert, Menschen einen Anspruch auf staatliche Hilfe zukommen zu lassen, um so ihr Existenzminimum zu sichern.
3. Schließlich widerspricht die Auslegung des LG auch dem Willen des Gesetzgebers. Er hat dem Elternunterhalt gegenüber dem Kindesunterhalt nicht nur nachrangiges Gewicht verliehen (§ 1609 BGB), sondern auch den Umfang der Verpflichtung deutlich gegenüber der Pflicht zur Gewährung von Kindesunterhalt eingeschränkt (§ 1603 Abs. 1 BGB). Die nachrangige Behandlung des Elternunterhalts entspricht der grundlegend anderen Lebenssituation, in der die Unterhaltspflicht jeweils zum Tragen kommt. Bei der Pflicht zum Elternunterhalt ist dies meist dann der Fall, wenn die Kinder längst eigene Familien gegründet haben, sich Unterhaltsansprüchen ihrer eigenen Kinder und Ehegatten ausgesetzt sehen, sowie für sich selbst und für die eigene Altersabsicherung zu sorgen haben. Dazu tritt nun ein Unterhaltsbedarf eines oder beider Elternteile im Alter hinzu, der mit deren Einkommen, insbesondere ihrer Rente, vor allem im Pflegefall nicht abgedeckt werden kann. Diesen sich kumulierenden Anforderungen hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er sichergestellt hat, dass dem Kind ein seinen Lebensumständen entsprechender eigener Unterhalt verbleibt. Die vom Gesetzgeber dem Elternunterhalt zugewiesene, relativ schwache Rechtsposition wird durch die neuere Entwicklung der Gesetzgebung aus jüngerer Zeit noch untermauert. Mit der schrittweisen Reduzierung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Einführung der gesetzlich geförderten privaten Altersvorsorge („Riester-Rente“) hat der Gesetzgeber die Verantwortung jedes Einzelnen hervorgehoben, für seine Alterssicherung neben der gesetzlichen Rentenversicherung rechtzeitig und ausreichend vorzusorgen. Dies muss bei der Bestimmung des einem unterhaltspflichtigen Kind verbleibenden angemessenen Unterhalts Berücksichtigung finden. Insbesondere aber hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 1. Januar 2003 durch das Grundsicherungsgesetz und seit dem 1. Januar 2005 durch die §§ 41 ff. SGB XII verdeutlicht, dass die Belastung erwachsener Kinder durch die Pflicht zur Zahlung von Elternunterhalt unter Berücksichtigung ihrer eigenen Lebenssituation in Grenzen gehalten werden soll.

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