Bundesverfassungsericht, Beschluss des Ersten Senats vom 5. Februar 2002
– 1 BvR 105/95 –
– 1 BvR 559/95 –
– 1 BvR 457/96 –
(Mehrere Oberlandesgerichte hatten der während der Ehe nicht berüftstäigen Ehefrau nur Unterhalt nach der Anrechnungsmethode gewährt: Der nacheheliche Verdienst der Frauen wurde voll auf den Unterhalt angerechnet. Dies Urteile wurden vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben)
Urteilsauszug
„… Die Nichtberücksichtigung von nachehelichen Einkommenszuwächsen aus der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit beim Gesamteinkommen, das der Unterhaltsberechnung zu Grunde gelegt wird, führt dazu, dass, gemessen an der ehelichen Einkommenssituation, die auf der Leistung beider Ehegatten beruht, der schon während der Ehezeit erwerbstätige Ehegatte durch die Arbeitsaufnahme des anderen einseitig eine finanzielle Entlastung bei seiner Unterhaltsverpflichtung erfährt…
…Wenn in den angegriffenen Entscheidungen für die Einbeziehung von derartigen Einkommenszuwächsen in das der Unterhaltsberechnung zu Grunde zu legende, die Einkommenssituation der Eheleute bestimmende Gesamteinkommen gefordert wird, eine wieder aufgenommene Erwerbstätigkeit müsse zumindest auf einem gemeinsamen Lebensplan der Ehegatten beruhen, der schon vor der Scheidung wenigstens teilweise verwirklicht worden ist, verkennt dies den Schutz, den Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG jedem Ehegatten gewährt…. …Im Übrigen entspricht die von den Gerichten mit dieser Rechtsauffassung unterstellte Endgültigkeit einer einmal gemeinsam von den Ehegatten getroffenen Arbeitsteilung nicht mehr der Ehewirklichkeit. Seit den siebziger Jahren hat sich das Ausbildungs-, Erwerbs- und Familiengründungsverhalten von Frauen kontinuierlich gewandelt…So zeichnet sich ab, dass inzwischen die noch in den fünfziger und sechziger Jahren dominierende Hausfrauenehe einem nunmehr vorherrschenden Ehebild gewichen ist, das auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzt, bei dem nur noch in der Phase aktiver Elternschaft der Typus der Versorgerehe weitgehend erhalten geblieben ist….
…Die Gerichte haben in ihren angegriffenen Entscheidungen die Gleichwertigkeit der ehelichen Unterhaltsleistungen nicht beachtet und der nachehelichen Unterhaltsbemessung in nicht verfassungsgemäßer Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensverhältnisse eine Berechnung zu Grunde gelegt, die dem Wert der in der Ehe geleisteten Familienarbeit nicht gerecht wird. In allen drei Verfahren hat sich die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit kurz vor oder nach der Scheidung durch die Beschwerdeführerinnen nur leistungsmindernd auf ihren Unterhaltsanspruch ausgewirkt, ohne dass ihre in der Ehe geleistete Familienarbeit bei der Bemessung ihres Unterhaltsbedarfs entsprechend Berücksichtigung gefunden hätte. Die Entscheidungen sind deshalb aufzuheben und die Sachen an die Oberlandesgerichte zurückzuverweisen….“ Hier finden Sie die vollständige Entscheidung.